Auf der Suche nach dem perfekten Titel: Kreative Überschriften in Zeiten von Buzzfeed, Heftig und Co
Buzzfeed hat vorgemacht, wie Überschriften heute aussehen müssen, damit sie viral explodieren: „10 Dinge, die du noch nicht wusstest“ und ähnliche Formulierungen bringen Klicks ohne Ende. Diese Listen-Artikel, die sogenannten Listicles, kommen dem unaufmerksamen Online-Leser hervorragend entgegen. Kurze Sätze, hübsch aufgereiht und nummeriert, dazu die passenden Katzenbilder, fertig. Doch hat diese Gattung leider auch eine neue Art von Überschriften etabliert, die nur darauf optimiert werden, extreme Aufmerksamkeit und so viele Klicks wie möglich zu generieren. Das ist einfach und effektiv – und der Niedergang einer eigenen Kunstform.
Dabei ist die gelungene Überschrift auch im Marketing ein unübersehbares Zeichen von Qualität und unternehmerischem Selbstbewusstsein. Wenn das Internet mit billigen Überschriften überschwemmt wird, ist der Zeitpunkt gekommen, um wieder mit Kreativität zu punkten und so sein Branding zu stärken.
Billige Effekthascherei funktioniert. Noch.
Die Überschrift hat meist nur einen Zweck: Sie soll verkaufen. Das Heft, den Text, den Autor, das Thema. Mit der Buzzfeed-Formel gelingt das im deutschsprachigen Bereich einer Website besonders heftig: 1,9 Millionen Shares hatte Heftig.co nur im Juni und liegt damit in diesem Zeitraum sogar noch vor Bild.de (1,5 Millionen). Diese Klickerfolge rufen deshalb unzählige Nachahmer auf den Plan und führen in eine ganz klare Richtung: zur einfallslosen Baukasten-Überschrift. Entweder wird auf die bewährte 10-Dinge-Formel zurückgegriffen, oder man treibt es mit folgenden Formulierungen auf die Spitze: „Er tat dies und das … Und dann passierte etwas ganz Unvorhergesehenes“ oder „du wirst kaum glauben, was dann geschah” und „besonders Nummer 8 hat uns schockiert“.
Diese Effekthascherei hat allerdings auch Schattenseiten. Von der anfänglichen Euphorie für diese Titelform, die selbst von den kleinsten Lokalzeitungen adaptiert werden, blättert der Lack langsam ab. Denn die Leser wollen tatsächlich auch Inhalte sehen. Und besonders qualitative Inhalte sind es dann eben nicht, mit denen die Klickmaschinen-Artikel zu überzeugen versuchen. Da wundert es auch kaum, wenn diese Überschriftenformen zunehmend in die Kritik geraten und nach und nach immer weniger geklickt, und dementsprechend auch weniger in den sozialen Netzen geteilt werden. Deshalb zahlt es sich aus, sich von der Masse abzuheben und wieder auf kreative Überschriften zu setzen.
Die perfekte Überschrift: Zwei Worte – Alles gesagt!
Wer sich auf die Suche nach der perfekten Überschrift macht, sollte einmal vom Bildschirm auf – und in ein Magazin hineinsehen. Denn während Tageszeitungen nach der Maxime „die Überschrift ist die Nachricht“ verfahren, überschreibt im Magazinbereich viel öfter ein absolutes Sprachkunstwerk einen mitunter mittelmäßigen Text.
Ein aktuelles Beispiel stammt aus der „Zeit Wissen“-Ausgabe N° 04/2015. Das Dossier zum Thema Smartphones ist ganz simpel mit „Phono Sapiens“ betitelt. In diesen zwei Worten steckt alles: das Thema, ein Wortspiel, ein perfekter Klang. Auch wenn das Dossier selbst vielleicht nicht so viel Inhalt vermittelt, wie die Überschrift vermuten lässt, so reizt allein schon dieser Geniestreich zum Lesen und Kaufen des Heftes. Und die folgenden Beispiele zeigen, dass es auch im Internet noch wirklich kreative Überschriften gibt:
- Ellen Pao muss nach anhaltenden Protesten der Nutzer ihren Posten als Reddit CEO räumen. Autor Eike Kühl titel bei Zeit Online:
Reddit – Die Insassen leiten die Anstalt - Giga.de setzt sich pointiert mit dem Heftig.co-Stil, seinen Kritikern und den Folgen auseinander. Autor Flavio Trillo nutzt die Überschriften-Formel gegen seinen Erfinder (aber nicht in der angekündigten Listen-Form):
10 Gründe für den Heftig-Stil: Nummer 11 haut euch um! - Neuer DNA Fund belegt die Paarung von Neandertaler und Mensch. Wissenschaftsredakteur Klaus Taschwer formuliert es im Standard so:
Nach Sex mit Neandertaler quasi in flagranti erwischt - Auch auf Spiegel.de wird über die Griechenland-Krise berichtet. Autor Stefan Kaiser gelingt ein Meisterstück, das sich erst durch die geniale Kombination von Titel und Artikelbild vollkommen entfaltet:
86 Milliarden für Griechenland: So viele Nullen
5 geniale Tipps, wie dir richtig gute Überschriften gelingen
Doch was macht sie nun aus, die kreative Überschrift? Während nicht an jedem Texter ein begnadeter Wortakrobat verloren gegangen ist, lässt sich die Technik des knackigen Formulierens doch bis zu einem gewissen Punkt erlernen. Und Training ist natürlich auch hier alles. Dazu 5 anregende Tipps für gute Überschriften und Nummer 6 wird dich garantiert aus den Socken hauen.
1. Erste Inspirationsquelle: Der Inhalt
Die erste Anlaufstelle zur Inspiration ist der Text selbst. Denn gute Überschriften zeigen bereits, wo die Reise hingeht und verhindern verfrühte Absprünge der Leser. Ist die Überschrift besonders frech, sollte es auch der Text sein. Ist sie wehmütig, darf sich der Artikel nicht zur Komödie entwickeln. Wie überall im Marketing ist es auch hier eine Frage des richtigen Brandings: Finde einen Ton, der zum Text passt und neugierig macht. So bringst du den Leser dazu, dem Artikel seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.
2. Erzeuge Neugier, aber: Erzwinge keine Pointe
Intelligente Wortspiele und zündende Pointen laden zum Lesen ein. Doch gute Überschriften schreiben sich nicht von selbst, sie erfordern Zeit und müssen oft erst reifen. Witze kommen auch nicht raus, wenn man sie umzingelt. Wenn es mit dem Humor so gar nicht klappen will, dann hilft immer noch die gute alte Nachrichtenüberschriftenform: „Ohne Umschweife, darum geht es“. Das ist besser als ein Rohrkrepierer. Und wirkt natürlich nebenbei äußerst seriös.
3. Der Jiu-Jitsu-Stil: Aktuelle Trends aufs Korn genommen
Giga.de hat im oben genannten Beispiel den aktuellen Zehner-Trend gekonnt auf die Spitze getrieben und pointiert kommentiert. Mach es wie im Kampfsport: Nutze die Kraft des Gegners, und wende sie gegen ihn. Das Magazin profitiert dabei von der natürlichen Viralität, die kontrovers diskutierte Themen mit sich bringen. Das erfordert natürlich eine ausführliche Recherche und die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen und Trends.
4. Die methodische Provokation: Frechheit siegt
Reizwörter und freche Aussagen sind immer noch der beste Köder, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu erlangen und ihm eine Reaktion zu entlocken. Das funktioniert besonders gut, wenn man sonst eher sachlich und seriös unterwegs ist. Deshalb Vorsicht: Die Provokationsformel funktioniert einmal und dafür richtig, danach kann es aber schnell peinlich werden.
5. Seriösität ist Pflicht, aber: Ironie ist Trumpf
Wer bereits einen Marketingtexte für langweilige Produkte betitelt hat weiß, dass sachliche Argumente nur selten ziehen. Mit etwas Ironie hat man in vielen Fällen jedoch zumindest die Lacher auf seiner Seite. Der Werbeeffekt solcher Überschriften funktioniert dann um die Ecke: Der Nutzer liest die Überschrift, das Social Web teilt und über diesen Weg findet die Botschaft ihren Weg zur passenden Zielgruppe. In jedem Fall generiert Ironie eine große Portion Aufmerksamkeit. Wer Ideen für gelungene Überschriften sucht, wird vor allem bei Satire-Magazinen wie dem Postillon fündig.
6. Der Ausweg: Wenn nichts mehr hilft
Ganz ohne die Erfolgsformeln muss es dann auch nicht sein, denn die Listen-Artikel haben nach wie vor eine breite Leserschaft. Besonders in der Mittagspause wollen Nutzer nicht ewig nach relevanten Inhalten suchen, die 10-Dinge-Überschrift ist dabei ein todsicherer Texterschuss. Denn drin ist meist, was drüber steht. Das ist aus Klicksicht eine solide Vorgehensweise. Viele Beispiele für gut erprobte Überschriften-Formeln findest du z.B. im Affenblog.
Zum Schluss noch eine kleine Weisheit aus dem Journalismus: Wenn sich keine passende Überschrift finden lässt, dann liegt das meist weniger an fehlender Kreativität, als an der Tatsache, dass dem Text noch eine klare Aussage fehlt. Und in diesem Fall sollte man wirklich noch einmal von vorne beginnen.