Wenn Tolkien Marketing betrieben hätte: Mythen und Legenden als Werbeinstrument

Wenn Tolkien Marketing betrieben hätte: Mythen und Legenden als Werbeinstrument

Quenya und Sindarin, Klingonisch und Dothraki – Bei diesen Begriffen kriegen Fans und Nerds feuchte Augen. Denn diese fiktiven Sprachen sind in ihrer Welt nur die Spitze einer ausführlich konzipierten Hintergrundgeschichte, die auch Mythen und Legenden umfasst. In der Literatur ist es die Technik, für eine Geschichte oder ein Universum komplette Sprachen, Ahnengeschichten und Hintergründe für jede einzelne Figur zu entwerfen. Und das, obwohl nur ein Bruchteil davon in der eigentlichen Geschichte vorkommt. Ein Aufwand, den auch Marketingexperten nicht scheuen sollten. Aber warum eigentlich?

Schöpfer einer Religion

Umfangreiche Hintergründe und Mystifizierung sind fester Bestandteil von Fantasy und Science-Fiction. Wenn Gandalf in der „Der Herr der Ringe“-Verfilmung „Mellon“ murmelt und sich Arwen und Aragorn auf Elbisch ihre ewige Liebe schwören, spüren die Zuseher, dass sie gerade Teil eines stimmigen Universums sind. Und tatsächlich steckt hinter all diesen kleinen Elementen ein komplettes Sprachsystem, das J.R.R. Tolkien bis ins kleinste Detail entworfen hat – mit kompletter Vokabelliste, grammatikalischen Regeln und sogar einer sprachwissenschaftlichen Entwicklungsgeschichte.

So ähnlich verfährt auch George R.R. Martin, dessen Sprachkonzepte in „Game of Thrones“ zwar rudimentärer sind, der dafür aber bei der Ahnenforschung für jeden einzelnen Charakter umso gründlicher vorgeht. George Lucas orientierte sich an der außergewöhnlichen Fan-Liebe der Tolkien-Jünger. Er schuf mit Jedi und Sith zwei sehr gut ausgearbeitete Religionen, nach der mancher „Star Wars“-Fan sogar lebt. Und Trekkies folgen dem verstorbenen Schöpfer Gene Roddenberry noch immer in jeder Silbe nach, um sich untereinander auf Klingonisch zu verständigen.

Die Legende als Marketinginstrument

Natürlich wollen die Autoren damit zeigen, wie sorgfältig ihr Werk erarbeitet ist und welche Meisterschaft auf ihrem Fachgebiet in ihnen steckt. Aber ein wenig Marketing-Kalkül steckt auch dahinter. Denn wenn dem Konsument nicht gleich alles auf dem Silbertablett präsentiert wird, dann erzeugt das Interesse. Und gibt man ihm auch noch das Gefühl, Teil von etwas größerem zu sein, dann hat das für viele eine unwiderstehliche Anziehungskraft.

Fans wollen eine Welt und ein Produkt nicht nur erfahren, sie wollen darin leben. Je detaillierter eine Idee oder eine Geschichte ausgearbeitet ist, desto stärker kann der Schöpfer den Ton und die Stimmung der Rezeption steuern und hat gewissermaßen auch in der Hand, wie sich ein Projekt weiter entwickelt. Auch J.K. Rowling veröffentlicht immer noch kleine Hinweise und Bemerkungen zu den Hintergründen von Harry Potter und die Fans drehen jedes Mal erneut durch. Stellt sich der Schöpfer geschickt an, schafft er nicht nur eine Community, sondern eine quasi-religiöse Anhängerschaft, die jedes noch so kleine Detail begierig aufsaugt, kommentiert und als Anlass zu immer neuem Konsum nimmt.

Ein Unternehmen hat das Zurückhalten von Informationen und Verdichten von Interesse geradezu perfektioniert: Apple. Der iPhone-Hersteller spielt diese Klaviatur besonders gern. Aber auch bei Produkten, die selbst nicht aus der Masse herausstechen, findet dieses Marketing-Konzept seinen Einsatz. Dann rücken plötzlich die Gründer und deren Geschichten in den Fokus der Werbekampagnen, Startups bloggen über den Büroalltag und beliebte Markennamen wie Commodore und Afri Cola werden wieder aus der Versenkung geholt.

Das Kinofilme.com Manifest

Wie Tolkien stecke auch ich viel Zeit in die Details bei meinen Projekten. Kleinigkeiten, die auf den ersten Blick nicht zu sehen sind, die dem Nutzer aber ein Lächeln ins Gesicht zaubern können, wenn sie dann doch auffallen. Neben dem Logo, das auf den Mauszeiger reagiert, lässt sich dies vor allem in den ersten Worten erahnen, die auf Kinofilme.com veröffentlicht wurden. Einem Manifest, das unsere Begeisterung für Filme und Serien ausdrücken sollte. Verfasst in Zusammenarbeit mit Filmkritiker und Illustrator Peter Siedl, befindet es sich am Ende der About-Seite – und hier ungekürzt und in voller Länge:

Das Kinofilme.com Manifest

Wir lieben Kino. Wir lieben Serien. Diese Werke, unsere Leidenschaft, unsere Begeisterung.

Wir kennen das Geheimnis von Rosebud. Wir haben der Kleinen in die Augen gesehen. Der Pate hat uns einen Gefallen erwiesen. Wir flogen über das Kuckucksnest. Wir kämpften um unser Dorf mit den Sieben Samurai. Wir sahen den Hai im Wasser und wussten, dass wir ein größeres Boot brauchen würden. Als wir uns in der Raumkapsel dem Monolith näherten, war er voller Sterne. Die Lichter von Metropolis blendeten uns. Wir jagten den Dritten Mann durch die Kanalisation der Stadt Wien. Wir waren ein üblicher Verdächtiger und sahen Keyser Soze einfach so verschwinden. Akira erwachte und wir starben, als Neo Tokyo explodierte…

Wir meuterten auf dem Panzerkreuzer Potemkin. Wir waren dabei, als der Replikant im Regen starb. Wir spürten das süße Leben am Trevi Brunnen. Fitzcarraldo sagte uns, wir sollen das Schiff über den Berg ziehen und wir taten es. Wir lachten, als Chaplin lachte. Wir sahen unsere Krieger gegen Xerxes kämpfen und sterben, es waren 300 an der Zahl. Wir erfreuten uns mit Conan am Geschrei der Weiber. Wir wünschten zum Abschied eine Gute Nacht und Viel Glück. Die Apokalypse ist jetzt. Wir beamten uns an Board der Enterprise. Indy schwang mit uns nur drei Mal die Peitsche. Wir gingen ins Land jenseits des Regenbogens und begrüßten den Zauberer von Oz. Die Matrix hatte uns, aber wir nahmen die rote Pille…

Wir sahen den Wrestler bluten. Der Gute, der Böse und der Hässliche hätten uns beinahe erschossen. Freddy schenkt uns immer noch Alpträume. Wir stürzten mit der Raumstation auf Solaris ab. Wir lieben die Bombe und gingen mit Dr. Seltsam in den Bunker. Wir waren Zeugen, als der Taxifahrer das Attentat auf den Senator verüben wollte. Wir mussten mit ansehen, wie Laura Palmer in Twin Peaks ermordet wurde. Wir kletterten mit Frodo den Schicksalsberg empor. Wir frühstückten bei Tiffany und halfen Truman Capote bei der Recherche seines kaltblütigen Romans. Es regnete und wir sangen. Wir verdursteten in Chinatown. Auch wir waren Avatare auf Pandora. Ghost Dog hat uns den Weg des Samurai gelehrt. Wir wurden aus einem Fenster zum Hof beobachtet. Mrs. Robinson hat uns verführt…

Wir genossen mit Dr. Lecter eine Leber mit ein paar Fava-Bohnen, dazu einen ausgezeichneten Chianti. John Connor befehligte unsere Einheit, als die Terminatoren angriffen. Während des Schattenkriegs verbrannten wir in einem Weißen Stern. Wir prügelten im Fight Club um nicht ohne Narben zu sterben. Der Dude lud uns zum Bowling ein. Uns war zum Kotzen, als Michel starb. Der Predator jagte uns durch den Dschungel. Das Alien spritzte Säure in unsere Gesichter. Der Dunkle Ritter rettete uns vor dem Joker. Wir waren Gladiatoren und standen Speer an Speer mit dem Spanier. Das mittelalterliche Kloster hat uns nie den Namen der Rose offenbart. Immer mit uns die Macht war. Auch wir mögen es heiß…

Wir lieben Kino. Wir lieben Serien. Wir sind Kinofilme.com. Kinofilme.com Manifest

Über Raphael Murr

Raphael Murr ist selbstständiger Künstler, Unternehmer und Referent für die Themen Social Media und digitales Marketing. Hier bloggt er über Kreativität und gibt Einblicke in seine Projekte.

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